Tierärztliche Praxis für Pferde Oliver Tinschmann
Tierärztliche Praxis für Pferde          Oliver Tinschmann

Die Atypische Weidemyopathie- was muss ich wissen?

 

1)    Was ist das- „Atypische Weidemyopathie“?

 

Die Atypische Weidemyopathie ist eine Muskelerkrankung bei Weidepferden, es kommt zu einer Störung des Muskel- und des Fettstoffwechsels.

In rund 85% endet sie tödlich.

Ursächlich ist neuesten Untersuchungen zufolge wohl das Gift Hypoglycin A, eine Aminosäure, welche u.a. in den Samen des Berg- und des Eschenahorns vorkommt.

Da auch Fälle bekannt sind, in denen die betroffenen Pferde keinen Kontakt zu diesen Samen hatten, wird auch in anderen Pflanzen weiter nach dem Vorkommen von Hypoglycin A gesucht.

 

2)    Welche Symptome deuten auf die Atypische Weidemyopathie hin?

 

Folgende Symptome können 12 Stunden nach der Aufnahme des Giftes auftreten:


  • Lethargie
  • Rudern mit den Beinen
  • Schwitzen
  • Zittern
  • Harnfarbe dunkelrotbraun-schokoladig
  • Steife Bewegungen
  • Festliegen
  • Zusammenbrechen
  • Erhöhte Atemfrequenz (normal sind


 


             8-16 Atemzüge pro Minute)

  • Erhöhte Herzfrequenz(Normwerte in Ruhe

               bei etwa 28 bis 44 Herzschlägen)

  • Fieber(> 38,4°Celsius, Fohlen 39,0°Celsius normal),

               oder Untertemperatur (< 37,0° Celsius)

  • Auch Koliksymptome möglich, Gelbfärbung der

               Schleimhäute, geschwollene Köpfe und Beine

 

3)    Welche Faktoren begünstigen die Erkrankung?

 

  • Im Herbst nach dem ersten Nachtfrost, Temperaturen unter 8°C, selten April oder Mai
  • Junge Pferde oder Senioren, oft neu in der Herde
  • Weiden mit knappem Aufwuchs, keine Zufütterung
  • mäßiger Ernährungszustand (Rippen sollen nicht sichtbar, aber fühlbar sein!)
  • Berg- oder Eschenahorn in der Nähe der Weide
  • Häufig Mangelversorgung mit Vitamin E, B und C, und den Spurenelementen Zink und Selen
  • Mangelnde Entwurmung

 

4)    Wie kann man also vorbeugen?

 

  • Ab Oktober über Nacht aufstallen, nur sechs Stunden Weideganz am Tag
  • Ergänzung durch Raufutter aus Raufen, Lecksteine und vitaminhaltiges Mineralfutter
  • Keine Weiden nutzen, auf denen Fälle bekannt geworden sind, nicht in der Nähe von Berg- und Eschenahorn weiden lassen
  • Weiden mit ausreichend Aufwuchs auswählen, regelmäßige Weidepflege, Unterstände
  • Regelmäßige Imfpungen, Entwurmungen und Kontrolle der Tiere

 

5)    Welche Rolle spielt dabei das Futterangebot? Woran erkenne ich, dass meine Weide kaum noch Nahrung bietet? Die Weide ist doch grün!

 

!    Einzelne Bereiche mit gutem Aufwuchs bleiben immer auf der Weide stehen, es handelt sich um

      Geilstellen, an denen die Pferde Harn und Kot absetzen, nicht jedoch fressen.

!    Gibt es keine geeignete Nahrung, fressen Pferde auch Dinge, die sie im Normalfall nicht fressen-

       so zum Beispiel die Hypoglycin A-haltigen Samen.

!      Beim ersten Frost müssen die Pferde ihren Wärmehaushalt anpassen- befinden sie sich in mäßigen Ernährungszustand, sind sie mit dem Erhalt der Körpertemperatur schnell überfordert. In einem solchen Zustand ist der Körper anfälliger für Krankheitserreger und Gifte, weil seine gesamte Energie in die Wärmeproduktion investiert wird. Kommen dann noch weitere Faktoren wie Parasitenbefall und Mangel an Spurenelementen und Vitaminen hinzu, ist das Pferd nicht mehr in der Lage, die Gifte unschädlich zu machen.

!     Auch gut genährte Pferde erkranken bei Aufnahme des Gifts: durch den gestörten Fettstoff-

     wechsel können sie die vorhandenen Reserven nicht nutzen und geraten ebenfalls schnell in

       eine Energiemangelsituation.

 

6)    Wie viel muss ein Pferd eigentlich am Tag fressen?

 

  • Ein Pferd kann am Tag etwa 2,5 bis 3% seines Körpergewichtes an Futter aufnehmen: ein durchschnittlicher Warmblüter (600 kg) also maximal 18 kg, ein Jungpferd maximal 3kg
  • Für den Energiebedarf in Ruhe: ein Pferd bräuchte eine ganze Schubkarre Gras (rund 35 kg), ein Fohlen knapp ein Drittel- diese Mengen sind am Tag nicht zu bewältigen.
  • Zufütterung mit Heu oder Silage: mindestens 1,5 kg Heu sollten pro 100 kg Pferd zur Verfügung stehen- bei einem 600 kg-Pferd entspricht dies 9 kg Heu (eine ganze Schubkarre mit gepresstem oder zwei Karren mit locker aufgeworfenem Heu)
  • Dennoch bleibt je nach Bodenqualität ein Defizit bei der Nährstoffversorgung! Jungpferde können Entwicklungsstörungen entwickeln, mit Sojaschrot kann man die Ration gut ergänzen. Bei den Senioren kann auch eine Tasse Pflanzenöl helfen, die nötige Energie verfügbar zu machen.

 

7)    Welche Rolle spielen die sinkenden Temperaturen? Wie läuft das mit der Thermoregulation?

 

  • Drei Viertel der Energie aus dem Futter wird für die im Winter unerlässliche Wärmeproduktion verwendet- Futter ist also für die Erhaltung der Körpertemperatur absolut lebensnotwendig.
  • Heu kann allgemein besser zur Wärmeproduktion ausgenutzt werden als wasserreiches Gras, weil seine harten Bestandteile von Bakterien im Dickdarm verdaut werden und diese Gärkammer eine Menge Wärme produziert.
  • Beim ersten Frost werfen Berg- bzw. Eschenahorn die Samen ab und der Wind verbreitet sie bis zu 100m im Umkreis- vereinzelt geschieht das auch erst im Frühjahr.
  • Die Pferde sind damit beschäftigt, ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten: dies ist natürlich einfacher, wenn sich die Pferde im Sommer eine gute Futterkondition aufgebaut haben und auf Reserven zurückgreifen können.
  • Bietet die Weide jedoch kaum noch Möglichkeiten der Futteraufnahme, sind diese schnell aufgebraucht und die Tiere wärmen sich durch Bewegung auf. Dies kostet auch Energie und am Ende bleibt den Tieren nur noch das Kältezittern. Die Wärmeproduktion kann so auf das Fünffache gesteigert werden- nebenbei werden die letzten Reserven aufgebraucht.

Neben der regulären Verstoffwechselung von Kohlenhydraten und Fetten kommt es dann sogar zum Abbau von Proteinen aus der Muskelmasse- die Tiere magern ab.

8)    Welche Rolle spielen Kälte, Nässe und Wind?

 

  • Ist es kalt, gibt der Pferdekörper über seine große Oberfläche eine Menge an Wärme ab. Wenn es zeitgleich regnet, funktioniert diese Wärmeabgabe noch besser und das Pferd verliert über das feuchte Fell noch schneller an Temperatur.
  • Im Extremfall führt scharfer Wind noch dazu, dass die Verluste steigen- die Umgebungsluft um den Körper wird schnell ausgetauscht und das Pferd ist ständig von neuer kalter Luft umgeben.
  • Toben Pferde zum „Aufwärmen“, können sie bis zu 30 km/h erreichen- dabei erzeugen sie einen Wind von knapp 10 m/h, der einen Großteil der erzeugten Wärme davonträgt.
  • Dies erklärt das Dilemma, in dem sich Pferde befinden, wenn es im Herbst zu einer Wetterverschlechterung kommt- stimmt die Energiezufuhr nicht, sind die Reserven schnell aufgebraucht und der Körper kann sich nicht noch um die Ausschaltung von Giften kümmern.

 

9)    Eine Mangelversorgung- was bedeutet dies für mein Pferd?

 

  • Es kommt häufig zum Mangel an Vitamin B, Vitamin E, sowie Zink und Selen.
  • Fehlt Zink, ist das Immunsystem geschwächt und die Hormonbildung gestört. Hinweisend können unter anderem häufige Infekte, brüchige Hufe und Mattigkeit sein .
  • Selen ist wichtig, damit Vitamin E aus der Nahrung aufgenommen werden kann. Schon ein geringer Mangel führt zur Schwächung des Immunsystems, bei deutlichen Mangelzuständen verhalten sich die Tiere steif, apathisch und haben Muskelschmerzen. Durch Schäden an Herz- und Atmungsmuskulatur kommt es bis zum Tod.
  • Vitamin E schützt die Zellmembranen, man findet es vor allem in Getreide, Ei, Leber und Keimöl. Fehlt es, gibt es Schäden an Muskeln und Nerven. Ursächlich ist in der Regel ein Selenmangel.
  • Es gibt verschiedene Vitamin B-Varianten (Vit. B1-12), die im Darm jedes Pferdes von Bakterien aufgebaut werden. So schützt das Vitamin B12 beispielsweise gemeinsam mit B1 und B6 die Nerven, ist an der Bildung roter Blutkörperchen beteiligt und hilft dabei, Schritte auf dem Weg der DNA- Bildung zu beschleunigen. Mit Zink gemeinsam sorgt es auch für die Schleimhautregeneration und ist wichtig für den Appetit auf Raufutter.

 

10)                         Was macht der Tierarzt, wenn mein Pferd erkrankt ist?

 

Der Tierarzt kann im Labor Blut und Harn untersuchen, nach dem Tod ist auch eine mikroskopische Untersuchung möglich. Da noch nicht zu 100 % aufgeklärt ist, wie es zu den Schäden an der Muskulatur kommt, ist eine zielgerichtete Therapie zurzeit noch schwierig. Die Pferde kommen in den Stall, sollen sich nicht mehr bewegen als nötig und bekommen Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Zusätzlich wird häufig versucht, den Mangel an Vitaminen und Spurenelementen auszugleichen, oft in Kombination mit einer Flüssigkeitstherapie.

 

11)           Prognose

 

Leider schaffen es nur etwa 15% der Pferde, diese dramatische Krankheit zu überwinden, die meisten sterben innerhalb von wenigen Stunden bis zu 3 Tagen. Hat das Pferd bereits Schwierigkeiten beim Ausatmen, stehen die Chancen nicht gut.

 

Selbst wenn ein Pferd überlebt, ist dessen Muskulatur durch die Erkrankung häufig nachhaltig geschädigt.

 

Um sein Pferd zu schützen, muss man handeln, bevor das Pferd erkrankt ist!

Quellenangaben

 

Für das Krankheitsbild

-          Dietz, Olof und Huskamp, Bernhard: “Handbuch Pferdepraxis”, Enke Verlag, 3. Auflage, 2006, S. 870.

-          Klein, Dr. med. Vet. Hans-Joachim: „Atypische Weidemyopathie beim Pferd“, aktualisiert am 5.12.2013, heruntergeladen am 12.12.13, 22:27 Uhr unter : http://weidemyopathie.dr-med-vet-klein.de/Weidemyopathie.pdf.

-          Munroe, Graham A. und Weese, J. Scott: „ Equine Clinical Medicine, Surgery, and Reproduction“, Manson Publishing, 2011, S. 240.

-          Sächsische Tierseuchenkasse, Anstalt des öffentlichen Rechts, „Wieder vermehrt Todesfälle durch die Atypische Weidemyopathie“, Stand: 20.12.13 unter: http://www.tsk-sachsen.de/index.php/pferdegesundheit/193-wieder-auftreten-der-atypischen-weidemyopathie-in-sachsen.

 

Für die Mangelversorgung und Muskelerkrankungen

-          Stashak, Ted S.: „Adam’s Lahmheit bei Pferden“, M.&H. Schaper, 4. Auflage, 2010, S. 276f., S. 279, S. 282f., S. 287ff., S. 330ff..

 

Für die nötigen Futtermengen

-          Kamphues, Prof. Dr. Josef und Coenen, Prof. Dr. Manfred et.al.: „Supplemente zu Vorlesungen und Übungen in der Tierernährung“, M.&H. Schaper, 11. Auflage, 2009, S. 156, S. 240ff, S. 253.

 

Für die Thermoregulation

-          Von Engelhardt, Wolfgang: „Physiologie der Haustiere“, Enke Verlag, 3. Auflage, 2010, S. 471ff., 477f..

 

 

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